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Vertrauen in schwierigen Zeiten

Es gab Zeiten in meinem Leben, da lief alles anders als geplant. Im Dezember 2011 musste ich mit meiner Werbeagentur Insolvenz anmelden, geschäftlich und privat. Eine Folge falscher Entscheidungen hatten mich an diesen Punkt gebracht.  Niemand ausser mir selbst hatte Schuld an dieser Situation.
Von einem Tag auf den anderen war ich mittellos und gesellschaftlich stigmatisiert. Mein restliches Vermögen wurde eingezogen und einige Tage vor Weihnachten 2011 stellte ich meinen luxuriösen Volvo dem Insolvenzverwalter vor die Türe und holte das alte Fahrrad aus dem Keller.


Es folgte eine Phase in der mich das Gefühl beschlich, nichts mehr unter Kontrolle zu haben und nutzlos zu sein. Mein bisheriges Leben erschien mir gescheitert. Alles worüber ich meinen Wert als Mann definiert hatte, war weggebrochen. Meine Ehe war gescheitert, meine Kinder lebten nicht mehr bei mir und ich war alleine und erfolglos. Aus einer großen Wohnung mit Kamin und Dachterrasse zog ich in eine 40qm kleine Wohnung. Scham und Selbstvorwürfe waren meine vorherrschenden Emotionen. "Vertraue dem Großen und Ganzen" versuchte ich mir immer wieder einzureden. Leicht gesagt, aber nicht so leicht getan. Es dauerte bestimmt noch zwei Jahre, bis ich begann, die Situation anzunehmen und mich dem Leben wieder hinzugeben. Ich hörte irgendwann auf, dagegen zu kämpfen und blickte wieder nach vorne. Erkannte dass mein Leben ein Spiegelbild meiner bisherigen Entscheidungen war. Ich wollte, dass mein Leben wieder besser wird, also musste ich bessere Entscheidengen treffen. Ein guter Anfang.

 

Mir wurde klar, dass alles im Leben dazu bestimmt ist, zu lernen. Wir sind hier, um unsere Lektion zu lernen und daran zu wachsen. Die ersten Schritte, die notwendig waren um wieder in meine Kraft zu kommen waren noch mühsam. Jedoch spürte ich, dass in dieser Situation eine große Chance für mich steckte. Verzicht auf Luxus und übermäßigen Konsum fielen mir nicht besonders schwer. Das Gefühl, stigmatisiert zu sein und kaum Handlungsspielraum zu haben, wog schwerer. Nicht einmal einen Handyvertrag konnte ich abschließen. Das wenige Geld, was ich zu dieser Zeit behalten durfte (Selbstbehalt ca. 1100 EUR, egal wie hoch der Verdienst ist), investierte ich konsequent in Seminare und Bildung. Daneben machte ich Jobs in der Tischlerei und als Grafiker. Mein Essen besorgte ich beim "foodsharing". Dort landen die Lebensmittel, die von Supermärkten nicht mehr verkauft werden dürfen. Sich aus dieser schwierigen Lage wieder hochzukämpfen war schwer - brutal schwer. 

 

Zu dieser Zeit erfüllte ich mir auch einen lange gehegten Lebenstraum und pilgerte den Jakobsweg. Dabei konnte ich nur in den einfachsten Herbergen übernachten und kam in Kontakt mit Menschen aus aller Welt. Hörte viele Geschichten von Scheitern und Neuanfang. Das hat mich sehr bereichert und mein Denken über die Bedeutung von Erfolg nachhaltig verändert. Ich begriff, dass unser Wert als Mensch völlig unabhängig davon ist, was wir im gesellschaftlichen Leben darstellen und wie hoch unser Kontostand ist. Allein unser Menschsein und dass wir lebendig sind, macht uns wertvoll und verleiht uns Würde, ganz ohne Designerklamotten.

 

Heute blicke ich auf eine sehr wertvolle Zeit und auf  Erfahrungen zurück, die mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin. Ohne diese Erfahrung wäre mein Leben um einiges ärmer. In dieser Zeit konnte ich einige "dunkle Ecken"  in meinem Leben entfernen, mich der Wahrheit stellen, alle Masken fallenlassen. Nach sechs Jahren in der Insolvenz bekam ich die komplette "Restschuldbefreiung" vom Amtsgericht am 13.11.2017. Zu diesem Zeitpunkt hatte mir bereits selbst verziehen und war in meiner neuen inneren Freiheit angekommen, arbeitete schon als Trainer und Coach. Beruflich hatte ich endlich meine wahre Bestimmung gefunden. Ich hatte lernen dürfen, dass alles zur rechten Zeit kommt. Und manchmal dauert es eben, bis die Zeit reif ist. 

 

Mein Fazit: Wachstum ist manchmal sehr ungemütlich. Dann wird von uns Offenheit und Flexibilität gefordert. Und Zielstrebigkeit. Einfach aufstehen und weitermachen. Leben ist lernen. Leben ist ständige Veränderung, ein großes Spiel. Wenn nichts mehr geht hilft Vertrauen!

 
Meine Botschaft an dich: Nimm dich selbst in den Arm. Genieße dein eigenes Sein und tauche ein in den Raum von bedingungslosem Vertrauen. Halte den Kopf hoch und mache weiter. Vertraue dem Prozess. Schnall dich an, denn es wird kein Zuckerschlecken! Aber ein Weg, der sich unglaublich lohnt. 

 

Michael Weiger